„There is no sound without silence before and after. (…) Sound and silence are relative to one another. (…) Listening to sounds means listening to silence and vice versa.”
So legt die amerikanische Komponistin Pauline Oliveros vortrefflich die Essenz des (Musik-)Hörens und die untrennbare Verbindung von Klang und Stille dar, auf der sowohl ihre eigene Kompositions- und Improvisationspraxis als auch ihre Lehre beruht. In ihrem Praxisbuch Deep Listening. A composer’s Sound Practice bringt sie uns ihre Methode anhand kurzer Übungen Schritt für Schritt näher. Eine gewisse Parallele zu der Praxis der Meditation und der Achtsamkeit ist unübersehbar. Oliveros sagt selbst: „Deep listening is a form of meditation. Attention is directed to the interplay of sounds and silence (…).” Atemübungen, das Bewusstwerden einzelner Körperteile oder des Körpers als Ganzes sowie Übungen aus dem Tai Chi und dem Yoga sind im ersten Teil des Buches zu finden, bevor die Autorin zu komplizierteren, musikalisch-experimentellen Übungen wechselt.
Im Sinne Oliveros plädiere ich in meinen Tätigkeiten und Angeboten für ein tiefes Zuhören in verschiedensten Formen – sei es das Lauschen der Stille, der Natur, der Musik, meines Inneren oder meines Gegenübers. Denn tief Zuhören bedeutet auch im Kontakt mit sich selbst sein, mit dem Körper, dem Atem, dem Hören, dem Klang, dem Raum sowie mit Anderen. Zuhören schafft Raum für die Erfahrung des Seins. Es ist eine aktiv-passive Fähigkeit, die z.B. anhand konkreter, regelmäßiger Meditations- und Achtsamkeitsübungen erlernt bzw. entwickelt werden kann. Ebenso kann das Eintauchen in ein musikalisches Werk durch tiefes Zuhören oder durch das eigene Musizieren dazu beitragen, wieder Zugang zu sich selbst zu finden und sich von den Klängen berühren zu lassen.
Während Pauline Oliveros mit ihrer Deep Listening Methode sich der intensiven Erfahrung des Hörens vor Allem als experimentell-musikalisch-künstlerisches Feld widmet, kann das „Zuhören” im Sinne einer Achtsamkeitsethik auf alle Aspekte des Lebens angewendet werden: Es ist ein tiefes Zuhören des Lebens nach innen und außen, mit uns selbst und in Interaktion mit Anderen. Indem wir lernen mit Körper, Gefühlen und Gedanken in Kontakt zu sein, sowie sich den verschiedenen inneren Wahrnehmungen zu öffnen, können wir im nächsten Schritt anderen Menschen mit der selben offenen Haltung begegnen. Die Achtsamkeitspraxis bereitet den Boden vor, auf dem Toleranz, Verbundenheit, Zusammenhalt und Solidarität wachsen können.
In unserem heutigen überaus stark digitalisierten und reizüberfluteten Alltag sowie in einer Welt wo Gewalt, Krieg, Rache und Macht immer mehr Raum einnehmen, benötigen wir mehr denn je Momente der Stille, des Tief-in-sich-hinein-Spürens und des Einander-zugewandt-Zuhörens. Das auf der oben beschriebenen „Zuhörens-Ethik” basierende Musizieren, Musik-Unterrichten, Musik-Vermitteln sowie das Praktizieren der Meditation und der Achtsamkeit betrachte und erlebe ich in meinem Beruf und Alltag als einen Akt des Friedens.
Valentine Buttard-Fleck. 20. Mai 2024